Freitag, 26. Dezember 2014

Johann Wolfgang Goethe und ukrainische Kultur und Literatur



Johann Wolfgang Goethe und ukrainische Kultur und Literatur 




Dr. Martha Oberrauch-Melniczuk
München

Dichter und Maler: Taras Schewtschenko und Johann Wolfgang von Goethe

I.
Malerei und Dichtung sind sowohl bei Taras Schewtschenko als auch bei Johann Wolfgang von Goethe keine gegensätzlichen Disziplinen, unvereinbar  und sich verständnislos gegenüberstehend, sondern jeweils andere Ausdrucksweisen desselben einen Genies, welches sich einerseits in der Dichtung äußert und andererseits auch in der Malerei zum bildhaften Ausdruck gelangt.
II.
Als Dichter und auch als Maler berühmt:Taras Schewtschenko! Doch er war außerdem ein Denker und Revolutionär und er stellte sich die Aufgabe, durch seine künstlerische Tätigkeit die Schönheit der Ukraine, ihre Sitten und Gebräuche und vor allem auch ihre ehrenvolle Vergangenheit zur Darstellung zu bringen [Vgl.B.Butnyk-Sivers’kyj,Schewtschenko als Maler, in: Taras Schewtschenko, Sein Leben und Werk, hrsg. Jurij Bojko und Erwin Koschmieder, Wiesbaden 1965, S. 465]. Er plante dazu die Herausgabe einer „Malerischen Ukraine“ und er schrieb diesbezüglich, dass er dies für Ruhm und Ehere der Ukraine tun wolle und er schätzte seine eigenen Fähigkeiten der Kunstmalerei als sehr bescheiden ein.[Vgl. Marta Oberrauch-Melniczuk, Zur Kunst von Taras Schewtschenko – Ungebrochener künstlerischer Lebenswille,----------------------------------------------------------------]
 Man weiß aus der Autobiographie Schewtschenkos und aus den Erinnerungen seines Schwagers Varfolomij, dass Schewtschenko bereits seit frühester  Jugend Freude und Talent am Malen zeigte. Im Dienst des Gutsherrn Engelhardt 1829 bis 1832 kopierte er verschiedene Gemälde und erwies sich in dieser Technik als sehr begabt. Seine vorakademische Malperiode von 1930 bis1938 erfuhr einen großen Auftrieb, als er sich mit seinem Gutsherrn nach Petersburg begab und dort bei dem Maler V.G.Schirjaev arbeitete, die Bekanntschaft des ukrainischen Kunstmalers I.M. Soschenko machte und die Klassen der Gesellschaft zur Förderung der Künstler ab 1835 besuchte. Er zeichnete in dieser Zeit hauptsächlich Motive aus der Antike, wie „Der Tod Lukretias“ , „Der Tod des Sokrates“ und ähnliche, in denen er sich dem Prinzip der damaligen akademischen Malerei anglich. Auch schuf er zu dieser Zeit zwei Zeichnungen aus der Geschichte der Ukraine: „Der Tod Olehs, des Fürsten der Derevljanen“ und der Tod Bohdan Chmel’nyc’kyjs“. Ebenso entstanden gegen Ende dieser vorakademischen Zeit mehrere hervorragende Aquarellportraits, so z.B. des Dichters J. P. Hrebinka von 1837.
 Ab April 1838 begann die akademische Periode im Schaffen Schewtschenkos. Der Freikauf aus der Leibeigenschaft, das Studium an der Akademie der Künste unter der Förderung von K.P. Brjullow, sowie der Umgang mit führenden Persönlichkeiten aus Kunst und Literatur beeinflusste die Entwicklung Schewtschenkos, seine Werke wurden ideeller und geistiger, „vielseitiger in Charakter, Genre und Ausführung“:[ Vgl.B.Butnyk-Sivers’kyj,Schewtschenko als Maler, in: Taras Schewtschenko, Sein Leben und Werk, hrsg. Jurij Bojko und Erwin Koschmieder, Wiesbaden 1965, S.466]
Während seiner Reisen in die Ukraine tritt besonders seine volksverbundene und tief mitfühlende Haltung  in seinen Bildern zu Tage. Seine Radierungen zur „Malerischen Ukraine“, z.B. „Gerichtsrat“, „Starosten“, „Sage“ und weitere, als auch die vielen Zeichnungen ukrainischer Bauern, welche er in seinem Reiseskizzenheft 1838 bis 1843 festhielt, verdeutlichen den Künstler Taras Schewtschenko als zutiefst mit dem einfachen Leben in der Ukraine verbunden, doch zeigen diese Werke seine unvergleichliche Kunst.
Nach Abschluss der Akademie kehrte er 1845 in die Ukraine zurück. Es begann damit der dritte Abschnitt seines künstlerischen Schaffens, der umfangreichste! In dieser Zeit erfuhr seine Portraitmalerei eine große Entwicklung und er wurde in diesem Fach zum großen Meister. Zu dieser Zeit bedeutete der Besitz eines seiner Portraits ein Kunstwerk von höchstem Wert sein eigen zu nennen, denn er war in diesen Jahren bereits ein weit über die Grenzen der Ukraine hinaus als ein bedeutender nationaler Dichter bekannt und seine Kunstwerke von ähnlich hohen Rang wie etwa die Werke Goyas.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Werke zur Zeit seiner Verbannung. Im April 1847 wurde Schewtschenko verhaftet, als er sich auf der Überfahrt über den Dnipro in der Nähe Kiews befand. Politisch verbannt, wurde er vom Zaren selbst „mit dem Verbot zu schreiben und zu malen unter allerstrengste Aufsicht“ [ebda, S. 469] gestellt. Entgegen der Verordnung des Verbotes durch den Zaren erhielt er vom Leiter der Aralexpedition, Butakow, von Mai 1848 bis September 1849 den Auftrag, die bis dahin unerforschte Landschaft, Fauna und Flora, sowie ihre geologische Struktur darzustellen. Dies bedeutet aber nicht, dass seine Werke dieser Zeit rein wissenschaftlich technischer Natur waren. Die Landschaft bewegte Schewtschenko als Künstler und so erweisen sich diese Bilder zwar als sehr genau in der Wiedergabe von Details, doch ist ihr Charakter in erster Linie ein lyrisch romantischer, z.B. in den Aquarellen „Brand in der Steppe“ oder “Mondnacht über Kos-Aral“, in welchen sich bezüglich Komposition, Farbgebung und  Schattierungen seine Empfindungen spiegeln,

Noch vielseitiger und verschiedener präsentieren sich die Landschaftsaquarelle während der Kara-Tau-Expedition im Sommer 1851. Eine Steigerung hinsichtlich Bildaufbau und insbesondere des Lichteinfalls vermitteln dem Betrachter eine hoffnungsvolle Stimmung in den Aquarellen “Dalismen-Mulaaulye“, 1851, und „Turkmenischer Friedhof, 1851. [ebda, S.368f].
Auch wenn die Bäume auf dem Friedhof kahl und ausgezehrt in den Himmel ragen, in dieser Weise die Friedhofsstimmung symbolisierend, so haben sie doch eine starke Kraft in ihren Stämmen und Ästen, mittels welcher sie die unendliche Weite des Firmaments einholen und daraus Trost schöpfen. Angesichts der Wucht dieser Bäume rückt das Hauptthema, die Darstellung des Friedhofs, eher in den Hintergrund als ihre Kulisse, vor der sie  ihren unbeugsamen Lebenswillen demonstrieren! Sie werfen große figürliche Schatten, die im Gegensatz zur Eigenschaft der Ruhestätte des Friedhofs auf die Lebendigkeit ihrer personalisierten Baumgestalten hindeuten. Auch ist ihre Wuchsrichtung dem Friedhof abgewandt, eher in die Nähe des Betrachters. So kann man das Fazit ziehen, dass es Taras Schewtschenko bei diesem Bild darauf ankam, seine künstlerische Lebenskraft und seinen Gestaltungswillen auch unter schwierigen Umständen zu bewahren und  weiter zu entwickeln! Licht und Schatten sind konstitutive Elemente sowohl des menschlichen Daseins überhaupt, - insbesondere in der Verbannung  - als auch in den entstandenen Aquarellen, wobei der in seiner Weite unfassbare Himmel den Aufspann der Bildkomposition ermöglicht, indem er das Licht in das Bild einfließen lässt und den Schatten ihren ihnen gemäßen Platz zuweist!

III.
Als Dichter zeigt T. Schewtschenko eine authentische Individualität. Seine ersten Schriften entstanden in den 30-er Jahren,  seine ersten bekannten Gedichte im Jahr 1838 [Vgl. Jurij Bojko, Sevcenko als Dichter, ebda, S. 43], also in genau dem Jahr, in welchem die akademische Periode in seiner Malerei begann.
Als eines seiner frühen dichterischen frühen Werke ist „Kateryna“ zu nennen, in welchem romantisch tragische Stimmungen zum Ausdruck kommen, tiefes Gefühl und Schicksal des Menschen in einer Heimat der Natur, welche den Dichter in seinen Werken die Landschaft mit Worten malen lässt.[Ebda]. Die Schilderung der Natur findet sich meist bis in die kleinsten Einzelheiten verbunden mit der seelischen Innenwelt des Dichters – in gleicher Weise wie der Maler. Als Beispiel sei eine Naturdarstellung aus der Erzählung Schewtschenkos „Vergnügter Spaziergang nicht ohne Moral“ aufgeführt. Es betrifft die Schilderung eines Weges durch ein Dickicht, auf welchem sich der Dichter  wie ein Maler mit einem Haselnussstrauch auseinandersetzt und zwischen ihm und dem Strauch auf dichterische Weise eine fantastische bildnerische Situation entstehen lässt, an welcher er sich wie ein Maler erfreut:

„Obwohl ich ganz in Anspruch genommen war von der Frage, wohin mich der geheimnisvolle Pfad wohl führen werde, blieb ich doch vor dem morschen Urgroßvater eines Haselnußstrauches stehen und war nahe daran, den Hut abzunehmen. So begegnet man manchmal auf der Straße einem würdigen Greis und die Hand greift unwillkürlich zum Hute.
Diese schöne Regung ist, glaube ich, dem Menschen schon angeboren und ist ihm nicht erst anerzogen worden. Wie dem auch sei, ich blieb mit Andacht vor dem großartigen knorrigen Strauch stehen, als wäre er ein lebendiges Wesen. Die Sonnenstrahlen, die sich durch das dichte Geäst zwängten, fielen auf seine uralten entblößten Füße, die Wurzeln, und beleuchteten sie so wirkungsvoll, so wunderbar deutlich, daß ich so weit wie möglich zurückwich, mich im Schatten des Haselnußgebüsches niederließ und wie ein richtiger Maler an dem hellen Sonnenfleck auf dunkelgrünem Hintergrund erfreute.
Ich erinnere mich nicht, wie lange ich dieses Bild genoß. Ich weiß nur, daß ein großer Tautropfen von dem Haselnußlaub auf mein Gesicht fiel und mich weckte.
Ich erkannte, daß ich hier nichts mehr zu machen hatte, denn der lichte Fleck war verschwunden. Geblieben war nur ein vertrockneter Strauch mit seinen ganz gewöhnlichen Wurzeln.“ [Ebda, S. 91]

Licht und Schatten sind von zentraler Bedeutung sohl in T. Schewtschenkos Malerei als auch in seiner Dichtung. Nur durch Licht und Schatten kann in Dichtung und Malerei das Spektrum der Farben entstehen, ein Raum der Anschauung und Gefühlsintensität, der Schicksale und ihrer Lebenswelten.

IV.
Das Jahr 1838, ein Schlüsseljahr für Taras Schewtschenko, führt im deutschen Raum stark in die literarische Romantik hinein, welcher der  Goethe auch angehörte. J. W. von Goethe verstarb 1832, sein Spätwerk ist dieser Epoche zuzuordnen. Er verfasste neben seinem umfangreichen literarischen Werk auch wissenschaftliche Schriften zur Farbenlehre.
Als Maler sind seine Aquarelle und Zeichnungen bekannt geworden. Aus dieser praktischen Erfahrung heraus und mittels zahlreicher physikalischer Experimente entwickelte Goethe seine Farbenlehre in Bezug auf die Einheit des Lichtes, welche in starkem Gegensatz zur Lehre von Isac Newtons Spaltbarkeit der Farben steht. [Vgl. Albrecht Schöne, Goethes Farbentheologie, München 1987]
Wie bei Schewtschenko sind Licht und Schatten im gesamten Schaffen Goethes in gleicher Weise konstitutiv. Goethe schreibt:  „Finsternis und Licht stehen einander uranfänglich entgegen, eins dem andern ewig fremd, nur die Materie, die in und zwischen beide sich stellt, hat, wenn sie körperhaft undurchsichtig ist, eine beleuchtete und eine finstere Seite“ [Ebda, S.224]. Im dichterischen Raum bedeutet diese Aussage, dass in der materiellen Welt das Helle und Freundliche, aber auch das Finstere und Tragische seinen Platz hat. Der Mensch befindet sich in diesem Zwischenraum. In Goethes „Faust“ heißt es diesbezüglich: „… zwischen Licht und Finsternis sei der Mensch gestellt, im Bereich der Trübe vollziehe sich das Erdetreiben, und Am farbigen Abglanz haben wir das Leben ( Faust, Vers 4727).“ [Ebda, S. 101].

V.
Der Mensch befindet sich im Spannungsfeld zwischen Licht und Dunkelheit. Vergleichbar der Begegnung des Dichters mit dem Haselstrauch bei Schewtschenko beruht die Erkenntnisfähigkeit des Menschen auf der Lichthaftigkeit seiner selbst.
In der Einleitung zum „Dogmatischen Teil der Farbenlehre“formuliert J. W. v. Goethe im Anschluss an die philosophische Lichttheorie Plotins folgende Verse:
„Wär‘ nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Lebt‘ nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?“
(Ebda, S. 101]
Das Auge ist demnach befähigt, am Licht teilzuhaben, aber nicht wie bei Plotin an einem rein intelligiblen Licht, sondern nach Goethe mit allen Sinnen, wobei sich hieraus eine Parallele zur Lichtwahrnehmung bei Taras Schewtschenko zeigt, denn diese umschließt in gleicher Weise die Sinne.

VI.
Von seiner Italienreise brachte Goethe ca. 1000 Zeichnungen und Aquarelle mit. Als Beispiel sei die Aquarellzeichnung „Vesuvausbruch“ aus dem Jahre 1787 vorgestellt:


J.W. v. Goethe, VESUVAUSBRUCH
Aquarellzeichnung 1787

Die Natur zeigt in diesem Bild ihre große Kraft, lässt uns die Urphänomene erahnen, hinter welchen man direkt das Göttliche wahrzunehmen glaubt. Das Bild spricht unser Gefühl und unsere Sinne an, versetzt uns in die Spannung zwischen Licht und Schatten. In seinen Tagebüchern vermerkt Goethe: „Lieben und Hassen, Hoffen und Fürchten sind auch nur differente Zustände unres trüben Inneren, durch welches der Geist entweder nach der Licht- oder Schattenseite hinsieht, ...“ [Ebda, S. 96]
In Goethes  zahlreichen Werken finden sich überall Hinweise auf seine Theorie des Lichtes. Wissenschaft und Poesie stehen nicht in einem unvereinbaren Gegensatz, sondern er war bestrebt, durch die Dichtung naturkundliche Inhalte deutlich zu machen und zu vermitteln.

VII.
Sowohl Taras Schewtschenko als auch Johann Wolfgang von Goethe haben uns mit ihren dichterischen und malerischen Werken, in welchen sich vielfältige Vergleiche  ziehen lassen, ein großes kulturelles Erbe hinterlassen.


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