Johann Wolfgang Goethe und ukrainische Kultur und Literatur
Dr. Martha Oberrauch-Melniczuk
München
Dichter und Maler: Taras Schewtschenko und Johann
Wolfgang von Goethe
I.
Malerei und Dichtung sind sowohl bei Taras Schewtschenko
als auch bei Johann Wolfgang von Goethe keine gegensätzlichen Disziplinen,
unvereinbar und sich verständnislos
gegenüberstehend, sondern jeweils andere Ausdrucksweisen desselben einen
Genies, welches sich einerseits in der Dichtung äußert und andererseits auch in
der Malerei zum bildhaften Ausdruck gelangt.
II.
Als Dichter und auch als Maler
berühmt:Taras Schewtschenko! Doch er war außerdem ein Denker und Revolutionär und
er stellte sich die Aufgabe, durch seine künstlerische Tätigkeit die Schönheit
der Ukraine, ihre Sitten und Gebräuche und vor allem auch ihre ehrenvolle
Vergangenheit zur Darstellung zu bringen [Vgl.B.Butnyk-Sivers’kyj,Schewtschenko
als Maler, in: Taras Schewtschenko, Sein Leben und Werk, hrsg. Jurij Bojko und
Erwin Koschmieder, Wiesbaden 1965, S. 465]. Er plante dazu die Herausgabe einer
„Malerischen Ukraine“ und er schrieb diesbezüglich, dass er dies für Ruhm und
Ehere der Ukraine tun wolle und er schätzte seine eigenen Fähigkeiten der
Kunstmalerei als sehr bescheiden ein.[Vgl. Marta Oberrauch-Melniczuk, Zur Kunst
von Taras Schewtschenko – Ungebrochener künstlerischer Lebenswille,----------------------------------------------------------------]
Man weiß aus der Autobiographie Schewtschenkos
und aus den Erinnerungen seines Schwagers Varfolomij, dass Schewtschenko
bereits seit frühester Jugend Freude und
Talent am Malen zeigte. Im Dienst des Gutsherrn Engelhardt 1829 bis 1832 kopierte
er verschiedene Gemälde und erwies sich in dieser Technik als sehr begabt.
Seine vorakademische Malperiode von 1930 bis1938 erfuhr einen großen Auftrieb,
als er sich mit seinem Gutsherrn nach Petersburg begab und dort bei dem Maler
V.G.Schirjaev arbeitete, die Bekanntschaft des ukrainischen Kunstmalers I.M.
Soschenko machte und die Klassen der Gesellschaft zur Förderung der Künstler ab
1835 besuchte. Er zeichnete in dieser Zeit hauptsächlich Motive aus der Antike,
wie „Der Tod Lukretias“ , „Der Tod des Sokrates“ und ähnliche, in denen er sich
dem Prinzip der damaligen akademischen Malerei anglich. Auch schuf er zu dieser
Zeit zwei Zeichnungen aus der Geschichte der Ukraine: „Der Tod Olehs, des Fürsten
der Derevljanen“ und der Tod Bohdan Chmel’nyc’kyjs“. Ebenso entstanden gegen
Ende dieser vorakademischen Zeit mehrere hervorragende Aquarellportraits, so
z.B. des Dichters J. P. Hrebinka von 1837.
Ab April 1838 begann die akademische Periode
im Schaffen Schewtschenkos. Der Freikauf aus der Leibeigenschaft, das Studium
an der Akademie der Künste unter der Förderung von K.P. Brjullow, sowie der
Umgang mit führenden Persönlichkeiten aus Kunst und Literatur beeinflusste die
Entwicklung Schewtschenkos, seine Werke wurden ideeller und geistiger,
„vielseitiger in Charakter, Genre und Ausführung“:[ Vgl.B.Butnyk-Sivers’kyj,Schewtschenko
als Maler, in: Taras Schewtschenko, Sein Leben und Werk, hrsg. Jurij Bojko und
Erwin Koschmieder, Wiesbaden 1965, S.466]
Während seiner Reisen in die
Ukraine tritt besonders seine volksverbundene und tief mitfühlende Haltung in seinen Bildern zu Tage. Seine Radierungen
zur „Malerischen Ukraine“, z.B. „Gerichtsrat“, „Starosten“, „Sage“ und weitere,
als auch die vielen Zeichnungen ukrainischer Bauern, welche er in seinem
Reiseskizzenheft 1838 bis 1843 festhielt, verdeutlichen den Künstler Taras
Schewtschenko als zutiefst mit dem einfachen Leben in der Ukraine verbunden,
doch zeigen diese Werke seine unvergleichliche Kunst.
Nach Abschluss der Akademie
kehrte er 1845 in die Ukraine zurück. Es begann damit der dritte Abschnitt
seines künstlerischen Schaffens, der umfangreichste! In dieser Zeit erfuhr
seine Portraitmalerei eine große Entwicklung und er wurde in diesem Fach zum
großen Meister. Zu dieser Zeit bedeutete der Besitz eines seiner Portraits ein
Kunstwerk von höchstem Wert sein eigen zu nennen, denn er war in diesen Jahren
bereits ein weit über die Grenzen der Ukraine hinaus als ein bedeutender
nationaler Dichter bekannt und seine Kunstwerke von ähnlich hohen Rang wie etwa
die Werke Goyas.
Besondere Aufmerksamkeit
verdienen die Werke zur Zeit seiner Verbannung. Im April 1847 wurde
Schewtschenko verhaftet, als er sich auf der Überfahrt über den Dnipro in der
Nähe Kiews befand. Politisch verbannt, wurde er vom Zaren selbst „mit dem
Verbot zu schreiben und zu malen unter allerstrengste Aufsicht“ [ebda, S. 469]
gestellt. Entgegen der Verordnung des Verbotes durch den Zaren erhielt er vom
Leiter der Aralexpedition, Butakow, von Mai 1848 bis September 1849 den
Auftrag, die bis dahin unerforschte Landschaft, Fauna und Flora, sowie ihre
geologische Struktur darzustellen. Dies bedeutet aber nicht, dass seine Werke
dieser Zeit rein wissenschaftlich technischer Natur waren. Die Landschaft
bewegte Schewtschenko als Künstler und so erweisen sich diese Bilder zwar als
sehr genau in der Wiedergabe von Details, doch ist ihr Charakter in erster
Linie ein lyrisch romantischer, z.B. in den Aquarellen „Brand in der Steppe“
oder “Mondnacht über Kos-Aral“, in welchen sich bezüglich Komposition,
Farbgebung und Schattierungen seine
Empfindungen spiegeln,
Noch vielseitiger und
verschiedener präsentieren sich die Landschaftsaquarelle während der
Kara-Tau-Expedition im Sommer 1851. Eine Steigerung hinsichtlich Bildaufbau und
insbesondere des Lichteinfalls vermitteln dem Betrachter eine hoffnungsvolle
Stimmung in den Aquarellen “Dalismen-Mulaaulye“, 1851, und „Turkmenischer Friedhof,
1851. [ebda, S.368f].
Auch wenn die Bäume auf dem
Friedhof kahl und ausgezehrt in den Himmel ragen, in dieser Weise die
Friedhofsstimmung symbolisierend, so haben sie doch eine starke Kraft in ihren
Stämmen und Ästen, mittels welcher sie die unendliche Weite des Firmaments
einholen und daraus Trost schöpfen. Angesichts der Wucht dieser Bäume rückt das
Hauptthema, die Darstellung des Friedhofs, eher in den Hintergrund als ihre
Kulisse, vor der sie ihren unbeugsamen
Lebenswillen demonstrieren! Sie werfen große figürliche Schatten, die im
Gegensatz zur Eigenschaft der Ruhestätte des Friedhofs auf die Lebendigkeit
ihrer personalisierten Baumgestalten hindeuten. Auch ist ihre Wuchsrichtung dem
Friedhof abgewandt, eher in die Nähe des Betrachters. So kann man das Fazit
ziehen, dass es Taras Schewtschenko bei diesem Bild darauf ankam, seine
künstlerische Lebenskraft und seinen Gestaltungswillen auch unter schwierigen
Umständen zu bewahren und weiter zu
entwickeln! Licht und Schatten sind konstitutive Elemente sowohl des
menschlichen Daseins überhaupt, - insbesondere in der Verbannung - als auch in den entstandenen Aquarellen,
wobei der in seiner Weite unfassbare Himmel den Aufspann der Bildkomposition
ermöglicht, indem er das Licht in das Bild einfließen lässt und den Schatten
ihren ihnen gemäßen Platz zuweist!
III.
Als Dichter zeigt T.
Schewtschenko eine authentische Individualität. Seine ersten Schriften
entstanden in den 30-er Jahren, seine
ersten bekannten Gedichte im Jahr 1838 [Vgl. Jurij Bojko, Sevcenko als Dichter,
ebda, S. 43], also in genau dem Jahr, in welchem die akademische Periode in
seiner Malerei begann.
Als eines seiner frühen
dichterischen frühen Werke ist „Kateryna“ zu nennen, in welchem romantisch
tragische Stimmungen zum Ausdruck kommen, tiefes Gefühl und Schicksal des
Menschen in einer Heimat der Natur, welche den Dichter in seinen Werken die
Landschaft mit Worten malen lässt.[Ebda]. Die Schilderung der Natur findet sich
meist bis in die kleinsten Einzelheiten verbunden mit der seelischen Innenwelt
des Dichters – in gleicher Weise wie der Maler. Als Beispiel sei eine
Naturdarstellung aus der Erzählung Schewtschenkos „Vergnügter Spaziergang nicht
ohne Moral“ aufgeführt. Es betrifft die Schilderung eines Weges durch ein
Dickicht, auf welchem sich der Dichter wie ein Maler mit einem Haselnussstrauch
auseinandersetzt und zwischen ihm und dem Strauch auf dichterische Weise eine
fantastische bildnerische Situation entstehen lässt, an welcher er sich wie ein
Maler erfreut:
„Obwohl ich ganz in Anspruch
genommen war von der Frage, wohin mich der geheimnisvolle Pfad wohl führen
werde, blieb ich doch vor dem morschen Urgroßvater eines Haselnußstrauches
stehen und war nahe daran, den Hut abzunehmen. So begegnet man manchmal auf der
Straße einem würdigen Greis und die Hand greift unwillkürlich zum Hute.
Diese schöne Regung ist,
glaube ich, dem Menschen schon angeboren und ist ihm nicht erst anerzogen
worden. Wie dem auch sei, ich blieb mit Andacht vor dem großartigen knorrigen
Strauch stehen, als wäre er ein lebendiges Wesen. Die Sonnenstrahlen, die sich
durch das dichte Geäst zwängten, fielen auf seine uralten entblößten Füße, die
Wurzeln, und beleuchteten sie so wirkungsvoll, so wunderbar deutlich, daß ich
so weit wie möglich zurückwich, mich im Schatten des Haselnußgebüsches
niederließ und wie ein richtiger Maler an dem hellen Sonnenfleck auf
dunkelgrünem Hintergrund erfreute.
Ich erinnere mich nicht, wie
lange ich dieses Bild genoß. Ich weiß nur, daß ein großer Tautropfen von dem
Haselnußlaub auf mein Gesicht fiel und mich weckte.
Ich erkannte, daß ich hier
nichts mehr zu machen hatte, denn der lichte Fleck war verschwunden. Geblieben
war nur ein vertrockneter Strauch mit seinen ganz gewöhnlichen Wurzeln.“ [Ebda,
S. 91]
Licht und Schatten sind von
zentraler Bedeutung sohl in T. Schewtschenkos Malerei als auch in seiner
Dichtung. Nur durch Licht und Schatten kann in Dichtung und Malerei das
Spektrum der Farben entstehen, ein Raum der Anschauung und Gefühlsintensität,
der Schicksale und ihrer Lebenswelten.
IV.
Das Jahr 1838, ein
Schlüsseljahr für Taras Schewtschenko, führt im deutschen Raum stark in die
literarische Romantik hinein, welcher der
Goethe auch angehörte. J. W. von Goethe verstarb 1832, sein Spätwerk ist
dieser Epoche zuzuordnen. Er verfasste neben seinem umfangreichen literarischen
Werk auch wissenschaftliche Schriften zur Farbenlehre.
Als Maler sind seine
Aquarelle und Zeichnungen bekannt geworden. Aus dieser praktischen Erfahrung
heraus und mittels zahlreicher physikalischer Experimente entwickelte Goethe
seine Farbenlehre in Bezug auf die Einheit des Lichtes, welche in starkem
Gegensatz zur Lehre von Isac Newtons Spaltbarkeit der Farben steht. [Vgl.
Albrecht Schöne, Goethes Farbentheologie, München 1987]
Wie
bei Schewtschenko sind Licht und Schatten im gesamten Schaffen Goethes in
gleicher Weise konstitutiv. Goethe schreibt:
„Finsternis und Licht stehen einander uranfänglich entgegen, eins dem
andern ewig fremd, nur die Materie, die in und zwischen beide sich stellt, hat,
wenn sie körperhaft undurchsichtig ist, eine beleuchtete und eine finstere
Seite“ [Ebda, S.224]. Im dichterischen Raum bedeutet diese Aussage, dass in der
materiellen Welt das Helle und Freundliche, aber auch das Finstere und
Tragische seinen Platz hat. Der Mensch befindet sich in diesem Zwischenraum. In
Goethes „Faust“ heißt es diesbezüglich: „… zwischen
Licht und Finsternis sei der Mensch gestellt, im Bereich der Trübe vollziehe
sich das Erdetreiben, und Am farbigen Abglanz haben wir das Leben ( Faust,
Vers 4727).“ [Ebda, S. 101].
V.
Der
Mensch befindet sich im Spannungsfeld zwischen Licht und Dunkelheit.
Vergleichbar der Begegnung des Dichters mit dem Haselstrauch bei Schewtschenko
beruht die Erkenntnisfähigkeit des Menschen auf der Lichthaftigkeit seiner
selbst.
In
der Einleitung zum „Dogmatischen Teil der Farbenlehre“formuliert J. W. v.
Goethe im Anschluss an die philosophische Lichttheorie Plotins folgende Verse:
„Wär‘
nicht das Auge sonnenhaft,
Wie
könnten wir das Licht erblicken?
Lebt‘
nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie
könnt uns Göttliches entzücken?“
(Ebda,
S. 101]
Das Auge ist demnach
befähigt, am Licht teilzuhaben, aber nicht wie bei Plotin an einem rein
intelligiblen Licht, sondern nach Goethe mit allen Sinnen, wobei sich hieraus
eine Parallele zur Lichtwahrnehmung bei Taras Schewtschenko zeigt, denn diese
umschließt in gleicher Weise die Sinne.
VI.
Von seiner Italienreise
brachte Goethe ca. 1000 Zeichnungen und Aquarelle mit. Als Beispiel sei die
Aquarellzeichnung „Vesuvausbruch“ aus dem Jahre 1787 vorgestellt:
J.W. v. Goethe, VESUVAUSBRUCH
Aquarellzeichnung 1787
Die Natur zeigt in diesem Bild ihre große Kraft, lässt
uns die Urphänomene erahnen, hinter welchen man direkt das Göttliche
wahrzunehmen glaubt. Das Bild spricht unser Gefühl und unsere Sinne an,
versetzt uns in die Spannung zwischen Licht und Schatten. In seinen Tagebüchern
vermerkt Goethe: „Lieben und Hassen, Hoffen und Fürchten sind auch nur
differente Zustände unres trüben Inneren, durch welches der Geist entweder nach
der Licht- oder Schattenseite hinsieht, ...“ [Ebda, S. 96]
In Goethes zahlreichen Werken finden sich überall
Hinweise auf seine Theorie des Lichtes. Wissenschaft und Poesie stehen nicht in
einem unvereinbaren Gegensatz, sondern er war bestrebt, durch die Dichtung
naturkundliche Inhalte deutlich zu machen und zu vermitteln.
VII.
Sowohl Taras Schewtschenko
als auch Johann Wolfgang von Goethe haben uns mit ihren dichterischen und
malerischen Werken, in welchen sich vielfältige Vergleiche ziehen lassen, ein großes kulturelles Erbe
hinterlassen.
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